Hall Art Foundation
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Anselm Kiefer
Frühwerk
18. März 2022 - 3. September 2023

Am 18. März 2022 eröffnet die Hall Art Foundation eine Ausstellung des international renommierten Künstlers Anselm Kiefer im Kunstmuseum Schloss Derneburg.  Anselm Kiefer: Frühwerk zeigt rund vierzig bedeutende, selten ausgestellte Bücher, Holzschnitte, Aquarelle und kleinformatige Ölgemälde, die zwischen 1969 und 1982 entstanden sind. Die Ausstellung führt in viele Themen und Sujets ein, die charakteristisch für Kiefers Werk geworden sind und bietet dem Betrachter einen Einblick in die Entstehungsgeschichte von Kiefers Gemälden, Skulpturen und Installationen.

 

Geboren 1945 in Süddeutschland, während der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs, gehörte Kiefer zur ersten Generation deutscher Künstler, die sich unmittelbar mit der schwierigen Geschichte ihres Landes und mit deutscher Identität nach Krieg und Holocaust auseinandersetzte. Mit vielschichtigen Andeutungen erkundet Kiefer in seinem Werk, inwiefern Geschichte, Literatur und Mythen transformiert werden können, und zwar nicht nur in Bezug auf den Mißbrauch durch die Nationalsozialisten, sondern als Wegweiser zu einem besseren Verständnis der universellen Fragen von Zivilisation, Kultur und Spiritualität. Anklänge aus nordischer Mythologie, Opern von Richard Wagner, deutscher Kultur- und Philosophiegeschichte sowie die historisch geprägte Vorliebe deutscher Künstler für romantische Landschaftsmalerei sind in den meisten seiner Werke zu finden.

 

Das Buch als Objekt und als wichtigster Träger von Gedanken und Sprache in der modernen Welt ist für Kiefers künstlerisches Schaffen von zentraler Bedeutung. Eines der ersten handgemachten Bücher Kiefers mit Aquarellen, Zeichnungen und Fotografien, Für Jean Genet (1969), wird in der Ausstellung zu sehen sein. Es enthält eine Reihe von Selbstporträts auf denen Kiefer bei seinen sogenannten „Besetzungen“, einer Aktion von 1969, zu sehen ist. Er trägt die Wehrmachtsuniform seines Vaters und parodiert den Hitlergruß vor historisch bedeutsamen Monumenten und Orten in Europa, aber auch in seinem Atelier. Auf einem der Bilder steht Kiefer auf einer Klippe, dem Meer zugewandt wie Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer (1817), mit zum Hitlergruß erhobenem Arm. Indem er Friedrich und sich selbst im Geschichtsnarrativ verortet, mit dem die Nazi-Ideologie sich mithilfe des Mißbrauchs deutscher Kultur-Ikonen zu legitimieren suchte, erinnert Kiefer an die Behauptung des französischen Schriftstellers Jean Genet, dass Faschismus nichts als Theater sei.

 

Auch Kiefers Aquarelle bringen oft historische Momente und herausragende literarische Werke zusammen. Margarethe-Sulamith (1981) geht zurück auf zwei Figuren aus Paul Celans Gedicht Todesfuge (1944/1945). Der Kehrvers „dein goldenes Haar Margarete, dein aschenes Haar Sulamith“ spielt auf die weibliche Hauptfigur in Goethes Faust und auf die Geliebte des jüdischen Königs Salomo im Hohelied an. Celan, der selbst in einem Arbeitslager interniert war und dessen Eltern im Konzentrationslager ermordet wurden, thematisiert in der Todesfuge die traumatische Erfahrung des Holocausts. Die Todesfuge gilt heute als Widerlegung der Aussage des Philosophen Theodor Adorno: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Adorno selbst nahm seine Aussage schließlich unter dem Eindruck der Holocaust-Gedichte von Paul Celan zurück.

 

Kiefer ist bekannt dafür, Textpassagen in seine Werke einzubinden. Ein Markenzeichen, das sich bis in seine frühesten kleinformatigen Ölgemälde zurückverfolgen lässt. Ich - Du (1971) beispielsweise besteht aus elf Teilen mit handgeschriebenen Inschriften auf nicht näher spezifizierten Landschaftsmotiven. Entstanden im ersten Jahr nachdem Kiefer und seine erste Frau Julia in den Odenwald gezogen waren, zeigen die Werke deutsche Landschaften mit dichten Wäldern, stillen Gewässern und Holzstapeln vor weitem Himmel. Die Inschriften richten sich an Julia und Kiefers Sohn Daniel, der kurz darauf geboren wurde.

 

In den Jahren 1973-74 begann Kiefer, mit Holzschnitten zu arbeiten, einer Technik, die untrennbar mit der Entwicklung des Buchdrucks verbunden ist. Wege der Weltweisheit - die Hermannsschlacht (1977) greift die Schlacht vom Teutoburger Wald im Jahre 9 v. Chr. auf, als der germanische Stammesführer Hermann drei römische Legionen vernichtete und so die Besatzer vertrieb. Hermann wurde zum Urheld der Deutschen und ein starkes Symbol deutscher Nationalisten, das im Dritten Reich mißbraucht wurde, um die Überlegenheit der „arischen“ Herrenrasse zu belegen. Kiefers Holzschnitt zeigt ein Porträt des Germanenführers, das durch Linien vernetzt ist mit Porträts von Dichtern, Schriftstellern, und Politikern des 18. und 19. Jahrhunderts.  “Diese Liniengewebe verbinden die Köpfe prominenter Persönlichkeiten aus der deutschen Geschichte und Kultur miteinander (…) Manchmal laufen die Linien auch über die Köpfe hinweg, einzelne überlagernd und teilweise auslöschend, andere einkreisend und hervorhebend. Kiefers ‘Wege’ durch die deutsche Kulturgeschichte stellen keine logischen oder chronologischen Verbindungen her, sie machen stattdessen gerade das Labyrinthisch-Verzweigte jenes verhängnisvollen deutschen Weges sichtbar; verschlungen und richtungslos, als sollten sie durch ihre Verläufe die Überholtheit des fortschrittsorientierten Geschichtsmodells veranschaulichen, stellen sie imaginäre Verbindungen zwischen einzelnen Personen her, die ebensogut auch anders verlaufen könnten”. (Sabine Schütz, Anselm Kiefer – Geschichte als Material, Arbeiten 1969-1983, S. 210-211)

 

Anselm Kiefer wurde 1945 in Donaueschingen geboren. 1993 zog er nach Barjac in Südfrankreich, wo er sich auf einem Industriegelände ein Atelier einrichtete. Es gehört heute der EschatonKunststiftung Anselm Kiefer. Derzeit lebt und arbeitet Kiefer in der Nähe von Paris. Er studierte Jura und Romanistik in Freiburg, bevor er sich an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe einschrieb. Seit 1971stand er im Austausch mit Joseph Beuys, der zu dieser Zeit Professor an der Kunstakademie Düsseldorf war. Er zeigte ihm seine Arbeiten und nahm an einigen von Beuys’ Aktionen teil (Überwindet endlich die Parteiendiktatur 1972 u.a.) Bei der 39. Biennale in Venedig 1980 wurde Kiefer gemeinsam mit Baselitz für den westdeutschen Pavillon ausgewählt. Seitdem werden seine Werke in international beachteten Einzelausstellungen gezeigt, so zum Beispiel in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf (1984), Museum of Modern Art New York (1987), Art Institute Chicago (1987), Nationalgalerie Berlin (1991) Metropolitan Museum of Art New York (1998), Fondation Beyeler Basel (2001), Grand Palais Paris (2007), Guggenheim Bilbao (2007), Royal Academy of Arts London (2014), Centre Georges Pompidou Paris (2015), Bibliothèque Nationale de France (2015), Albertina Wien (2016), NSU Art Museum Fort Lauderdale Florida (2016), Eremitage St. Petersburg (2017), Rodin Museum Paris (2017), Met Breuer New York (2018) und im Astrup Fearnley Museet Oslo (2019). Im Jahr 2013 eröffnete die Hall Art Foundation eine Dauerausstellung von Skulpturen und Gemälden Kiefers in einem speziell dafür hergerichteten, über 900 Quadratmeter großen Gebäude auf dem Gelände des Massachusetts Museum of Contemporary Art. 2020 wurde Kiefer mit einer Dauerausstellung seiner Werke im Panthéon in Paris geehrt, die der französische Präsident Emmanuel Macron in Auftrag gegeben hatte. Im vergangenen Jahr (2021) war eine Ausstellung seiner Paul Celan gewidmeten Monumentalwerke im Grand Palais Éphémère in Paris zu sehen.

 

Detaillierte Informationen und Bildmaterial stellt das Verwaltungsbüro der Hall Art Foundation unter info@hallartfoundation.org zur Verfügung.

 

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Anselm Kiefer
Für Jean Genet (For Jean Genet), 1969 (detail)
Bound watercolor on paper, graphite, original photographs, hair and canvas strips on cardboard (24 pages).
26 x 20 x 1-1/2 in. (67 x 51 x 4 cm)
Hall Collection
Courtesy Hall Art Foundation
© the artist

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Anselm Kiefer

Ich - Du, 1971 (detail)

Oil on canvas laid down on canvas, 11 parts

Dimensions vary with installation

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Die Kunst geht knapp nicht unter (Art will survive its ruins), 1975

Watercolor on paper

9-1/2 x 8 in. (24 x 20 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Brünhildes Tod (Brunhild's death), 1976

Pencil and watercolor on paper

27-1/2 x 22 in. (70 x 56 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Wege der Weltweisheit - die Hermannsschlacht (Ways of Worldly Wisdom - The Battle of Hermann), 1977

Woodcuts on paper laid down on synthetic fabric

120 x 126-1/2 in. (305 x 321 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Yggdrasil, 1978

Oil on canvas

57-1/2 x 46-1/2 in. (146 x 118 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Margarethe-Sulamit (Margarete-Sulamith), 1981

Watercolor on paper

16-1/2 x 22 in. (42 x 56 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist

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Anselm Kiefer

Innenraum (Interior), 1982

Watercolor, pencil and collage

30-1/2 x 27 in. (77.5 x 68.5 cm)

Hall Collection

Courtesy Hall Art Foundation

© the artist